Von Augusto
Boal
Koffer. Eine Menge Koffer. Große
und kleine. Eine Kiste. Und sechs Menschen. Drei Frauen, drei
Männer. Und Zeit. Viel Zeit. Ein Selbstmord. Und wieder.
Koffer...
Dazwischen ausgespannt die Reise. Die Reise, die nie zu Ende
geht. Die Flucht. Sie sind zusammen unterwegs, diese sechs
Menschen. Immer. Sie sind dazu gezwungen.
Die drei Paare, der Doktor und Marga, Foguinho und Barra, Maria
und Paulo, sind allesamt politische Flüchtlinge. Sie sind auf
der Suche nach einem ruhigen, friedlichen Land, in dem sie leben
können. Die Wurzeln zu ihrem Heimatland sind gekappt. Haltlos
taumeln sie auf den Straßen des Exils, hin- und hergeworfen
zwischen - mitunter traumatischen - Erinnerungen an die
Vergangenheit, Sehnsüchten nach einer besseren Zukunft und der
Realität einer elenden Gegenwart. Alles, was sie besitzen, ist
in ihren Koffern. Sie dienen ihnen als Stuhl, Tisch, Bett ...,
als karges Mobiliar, mit dem sie sich notdürftig in immer
anderen Räumen einrichten. Nie haben sie dabei ein eigenes
Zimmer, eine Rückzugsmöglichkeit. Ruhe und Alleinsein wird im
Alltag der Flüchtlinge zu einer nicht verwirklichbaren
Wunschvorstellung. In der permanenten Anwesenheit und Enge werden
die Anderen zu unerträglichen "häßlichen
Gesichtern", denen man unentwegt ausgesetzt ist.
Nicht nur die nervtötende Gegenwart der Mitflüchtenden, sondern
ebenso der - zumeist plötzliche - Zwang zum Wechsel des Ortes
besetzt das Denken der Flüchtlinge und verbraucht ihre
Empfindungskräfte. In der Erwartung eines neuerlichen Aufbruchs
stehen ihren Koffer immer griffbereit. Unterwegssein und
Nicht-Ankommen als kennzeichnende Merkmale orientierungsloser,
ihren Fundamenten entrissener Flüchtlinge.
Unter diesen Bedingungen zerfällt die Kommunikation der Gruppe
zusehends in Bruchstücke sarkastischer, absurder oder
belangloser Dialoge. Zuhören und echtes Interesse am Anderen
geht ebenso schnell verloren, wie Haß, Unwillen,
Gleichgültigkeit und Boshaftigkeit sich untereinander breit
machen. In ihren Gefühlen füreinander werden sie hastig,
ungenau, beinahe wahllos. Je länger die Flucht dauert, um so
mehr verändert und zerstört sie die Identität der Fliehenden.
"Mit der Faust ins offene Messer" hat sich durchgesetzt
als das exemplarische Stück über das Schicksal politischer
Flüchtlinge, als das Exilstück schlechthin. In der
vorliegenden, bühnenbildnerisch bewußt karg gehaltenen
Inszenierung von Markus von Hagen wurde der ursprünglich
südamerikaspezifische Text auf eine eher neutrale,
länder-unabhängige Ebene transponiert. Die Identifikation und
Einfühlungsbereitschaft der ZuschauerInnen im europäischen Raum
wird so unterstützt.
Das Ensemble
Es spielen: | Foguinho | Ulla Klingovsky |
Barra | Peter Kossack | |
Maria | Marion Tamme | |
Paulo | Michael Moog | |
Marga | Sabine Pitsch | |
Doktor | Daniel Wrana | |
Regie: | Markus von Hagen (Münster) |